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Nur kurz leben | Leseprobe

Niemand möchte die Katze im Sack kaufen, daher habe ich heute die erste Leseprobe aus „Nur kurz leben“ für euch.


MONTAG

Schichtbeginn.
Die Tür öffnet sich mit einem Zischen. Klingt ein bisschen wie die Türen eines Raumschiffs. Nur nicht so cool. In dem viel zu stark heruntergekühlten Verkaufsraum bekomme ich Gänsehaut. Hinter der Kasse steht Ajit und wartet darauf, dass ich ihn ablöse. Außer ihm ist noch Bauarbeiter-Toni da. Am Stehtisch vor der Bistro-Ecke trinkt er seinen täglichen Kaffee und hat bereits seine
Mittagsbockwurst gegessen. Und mein Chef ist da. Frank Bader. Ungewöhnlich, denn sonst verbringt der nur die Vormittage für Buchhaltung und Bestellungen hier. Ein schlechtes Omen?
Er winkt mich ran und ohne abzuwarten, ob ich hinterherkomme, verschwindet er in die hinteren Räume, wo sein Büro ist und die Kunden keinen Zutritt haben. Ein fragender Blick in Richtung Ajit. Der zuckt mit der rechten Schulter. Was für ein Blödmann.
In seinem Büro sitzt Bader schon auf dem überteuren Schreibtischstuhl mit Lederüberzug. Echtes Leder, selbstredend. Völlig fehlplatziert in dem ansonsten ramschigen Büro mit Wellblechwänden. Geschäftig schiebt er Papiere zusammen, als hätte er in den dreißig Sekunden, die er eher im Büro war, so viel erledigen können. Er locht die Papiere, obwohl ich sehen kann, dass es Lieferscheine sind, die sonst grundsätzlich im Papiermüll landen.
„Ich mach’s kurz und schmerzlos, Richie.“ Er versucht, wie ein Kumpel zu klingen, benutzt meinen Spitznamen und zwinkert sogar. Idiot. „Ich muss dich entlassen.“ Ein Räuspern, kurzer Blick. „Leider“, fügt er hinzu, weil es sich so gehört.
Schlechtes Omen.
Ich nehme den Umschlag, den er mir entgegenhält.
„Ajit übernimmt deine Schichten ab nächstem Monat.“
Deswegen nur der einseitige Schulterzucker vom Kollegen Blödmann.
„Okay“, sage ich.
„Okay“, sagt Bader, der Idiot. Er sieht mich erneut an, dann schnell wieder weg. Räuspert sich ein weiteres Mal und fährt sich durch den grauen Bart.
Ich rühre mich nicht. Sehe ihm bei seinem Unwohlsein zu. Das ist das Mindeste. Ich warte geduldig und will, dass er es sagt. Den immer wiederkehrenden Satz. Sein Markenzeichen, seinen Slogan: „Dann jetzt ran an die Arbeit.“
Ja, genau, ran an die Arbeit. Ich verlasse das Büro und stelle meinen Rucksack auf den Stuhl im Aufenthaltsraum. Stopfe den Umschlag mit der Kündigung in eines der vorderen Fächer und ziehe die Jeansjacke aus.
Oma hat immer gesagt, kleine Sünden bestrafe der liebe Gott sofort. Manchmal hat sie von Karma geredet. Und am Häufigsten sagte sie: „Von Nichts kommt Nichts.“
Scheiß drauf!
Ich nehme meinen Rucksack und die Jacke mit nach vorne hinter die Kasse. Das dürfen wir eigentlich nicht. Aber was habe ich zu verlieren?
Nachdem Blödmann und Idiot endlich gegangen sind, öffne ich das Hauptfach vom Rucksack, in dem mein Portemonnaie, zwei Shirts und einige Unterhosen liegen, in einem Anfall von Größenwahn vorsorglich für eine Flucht eingepackt. Immer noch unsicher, ob ich überhaupt flüchten werde. Ich lege den Rucksack auf dem Tresor ab, der unter der Kasse steht und darauf wartet, mit dem Umsatz meiner Doppelschicht gefüttert zu werden. Mit dem Cuttermesser, mit dem ich sonst die Verpackungsfolie der Warenpaletten und Zigarettenkartons öffne, ritze ich das Kabel des Kartenlesegeräts an. Testweise drücke ich ein bisschen auf dem Gerät rum. Das Display bleibt dunkel. Ich stelle das selbstgebastelte Schild mit der Info Kartenlesegerät defekt !! ! an der Kasse auf. Draußen hänge ich die Anhänger mit derselben Information an die Zapfhähne der Tanksäulen. In der Nase der Geruch von Diesel. Den ganzen Tag werden die Kunden deswegen meckern, aber wenn der Rucksack am Ende voll mit Geld ist, soll es mir egal sein.
Als hätte man mir die Ruhe für die Vorbereitungen gegönnt, fahren erst jetzt wieder Autos auf den Hof. Drei gleichzeitig. Parken an den Säulen. Ich warte geduldig an meinem Platz hinter der Kasse. Sehe zu, wie die Tanksummen steigen. Das erste Mal, seit ich hier arbeite, ist das Lächeln, das ich den Kunden schenke, echt.

Die Doppelschicht ist wie jede andere Montagsschicht. Stressig, unzählige Kunden. Sie sind mal besser, meistens aber schlecht gelaunt. Wegen der Situation mit dem kaputten Kartenlesegerät. Es macht ihnen Umstände, dass sie bar bezahlen müssen. Ich bekomme viel Frust ab. Aber die unzähligen Geldbündel, die statt im Tresor im Rucksack neben meinen Klamotten landen, schaffen mir einen Schutzschild, der die mosernden Kunden aushaltbar macht.
Der Hof liegt im Dunkeln und wird nur von den Leuchtstoffröhren des Regendachs beleuchtet. Noch zwölf Minuten. Viele Kunden werden bis Feierabend nicht mehr kommen. Ich stehe vor dem Süßigkeitenregal und überlege, welche Schokoriegel ich einpacken soll.
Mir ist bewusst, dass ich heute das Kriminellste meines Lebens vorhabe. Nach dieser Schicht werde ich ein Dieb auf der Flucht sein. Dann gibt es kein Zurück mehr.
Dass mein Chef die meiste Zeit ein Arschloch war, hilft ungemein, das schlechte Gewissen kleinzuhalten. Außerdem wird er erst morgen Vormittag feststellen, dass das Geld fehlt. Bis dahin bin ich über alle Berge. Muss mich mit dem Problem nicht mehr befassen. Und deswegen suche ich in aller Ruhe Schokoriegel aus.
Ein silberner Volvo Kombi fährt auf den Hof und hält an Säule zwei. Eine Frau steigt aus und betankt den Wagen.
Ich entscheide mich für ein paar Schokoriegel und eine Packung Kekse. Die Sachen landen im Rucksack neben den vielen Geldbündeln, die mit Gummibändern zusammengehalten werden. So präpariert, wie sie sonst im Tresor gelandet wären.
Das Telefon klingelt. Die Frau tankt voll, das dauert, daher hebe ich ab.
„Ich habe die Buchhaltungsordner vergessen. Bitte warte, bis ich da bin. Dann muss ich nicht erst noch den Schlüssel holen.“
Mein Chef. Arschloch.
Mist. Es lief auch alles viel zu gut.
Ich lege auf mit einem Gefühl im Magen, als hätte jemand kräftig darin rumgerührt.
Auf einmal bin ich mir mit meinen bisherigen Entscheidungen nicht mehr so sicher und zwirble nervös am Telefonkabel herum, während ich versuche, Ruhe in meine Gedanken zu bringen. Was soll ich tun? Das Geld aus der Tasche in den Tresor werfen und die Schokoriegel zurücklegen? Oder die Tasche packen und abhauen?
Die Frau hat den Wagen betankt. Sie kommt auf den Nachtschalter zu.
Alles zurücklegen oder abhauen?
Sie zahlt und fragt nach dem Toilettenschlüssel.
Alles zurücklegen oder abhauen?
Ich ziehe die Schublade des Nachtschalters mit dem Geld zu mir rein, tausche es gegen den Bon und den Schlüssel für die Kundentoilette. Schublade wieder raus.
Zurück oder abhauen?
Die Frau bedankt sich müde lächelnd, nimmt beides und macht sich auf den Weg zur Toilette.
Zurück oder abhauen???
Sie hat ihren Autoschlüssel auf der Ablage vor dem Nachtschalter liegen lassen.
Abhauen!
Ich öffne die Kasse, fische die letzten Scheine und das Kleingeld heraus und stopfe mir ein paar weitere hundert Euro in die Hosentaschen. Ich ziehe den Reißverschluss des Rucksacks zu, werfe ihn mir über die Schulter, schnappe
meine Jacke. Ich kann es mir nicht verkneifen, den Mittel­finger in die Kamera zu strecken, ehe ich auf den Hof verschwinde. Ich greife mir den Schlüssel der Frau und entriegle damit den Wagen. Die Blinker leuchten flackernd auf, die Scheinwerfer schalten sich ein. Schickimicki-Karre. Ich gleite auf den Fahrersitz, mein Rucksack landet neben mir. Sitz und Spiegel einstellen, Zündschlüssel drehen, auf geht’s – tschüss, beschissenes Leben.


Die Fortsetzung der Leseprobe gibt es jetzt als Hörprobe von Janna gelesen auf KeJas Blogbuch.

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