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Welcome to my Ghost World | Kapitel 2

Ihr seid so krass! 2000 Euro habt ihr an diesem Wochenende beim Crowdfunding geknackt. Wow, wow, wow – einfach sprachlos. Vielen, vielen Dank! (Bei Kapitel 1 anfangen.)

Hier das zweite Kapitel aus Welcome to my Ghost World – noch unlektoriert und unkorrigiert (es kann also sein, dass hier und da noch ein Fehler steckt bzw. sich die ein oder andere Stelle noch ändert).

Wichtig bei diesem Kapitel: Content Notes beachten. Es geht heftig zu dieses Mal.


Es ist erstaunlich, wie viel man hört, wenn man einfach mal still daliegt. Schritte auf dem Flur, ein Stuhlscharren, Gelächter einer gesamten Klasse, wenn die Fenster offen sind, manchmal sogar das Pfeifen und Rufen aus der Sporthalle. So viel Bewegung um mich herum. Um mich, die regungslos auf einem Tisch in der Schulbücherei liegt. Versteckt zwischen den Regalen mit den Büchern U bis W. Träge das Leben aushaltend. Das mache ich manchmal. Stunden schwänzen und in einer Art Lethargie mich aus dieser Welt wegdenken. Versuchen zu vergessen, dass sie existiert und dass ich existiere. Einfach nur sein, ohne sich zu vergegenwärtigen, warum man überhaupt ist und alles so wenig Sinn macht.
Irgendwie beruhigt es mich, das stille Liegen in einem Gebäude in dem so viel los ist und gleichzeitig passiert.
Als es läutet, verändern sich die Geräusche im Gebäude. Aus dem bisher gelegentlichen Stuhlscharren wird ein ganzer Chor und durch die Flure schwappen Schritte und Gespräche.
Es dauert eine ganze Weile, bis das Schuhgetrappel, Stühlerücken, Rufen und Pfeifen abebbt. Alle eilen sie aus dem Gebäude, um nach Hause zu kommen. Aber ich habe keine Lust Heim zu gehen. Nicht, weil ich nicht gerne dort bin, sondern weil ich mich nicht aufraffen kann mich auf den Weg zu machen. Nicht einmal mich aufzusetzen, scheint mir eine machbare Aufgabe zu sein.
Würde es überhaupt jemand merken, wenn ich über Nacht hierbliebe?
Also klar, meine Mütter, weil ich nicht nach Hause käme. Aber überprüft irgendjemand, ob alle das Gebäude verlassen haben, ehe jemand die Türen abschließt?
Ich bleibe heute einfach liegen, um es herauszufinden.
In meine Überlegungen versunken, fallen mir die Schritte erst kaum auf. Lauter werdend, scheinen sie im Flur, direkt vor der Bücherei zu sein. Ich atme so leise ich kann, weil ich mir einbilde, man könne mich vor der Tür sonst vielleicht hören und entdecken. Und auch darauf habe ich gerade keine Lust. Im nächsten Moment wird die Tür der Bücherei aufgestoßen. So grob und untypisch, dass ich mit einem Mal aufrecht sitze. Ich rutsche vom Tisch, um nachzusehen, wer reingekommen ist, da entdecke ich sein hämisches Grinsen schon durch eins der Regale hindurch.
Das gefällige Geräusch, dass Wieber macht, lässt alles in mir Alarm schlagen.
„Dumme Schlampe.“ Es sind nur einige wenige Schritte, um aus dem versteckten Winkel der Bücherei zur Tür zu gelangen, aber er ist so schnell, dass ich keine Chance habe. Ohne weitere Vorwarnung werde ich geschubst und stolpere gegen die Wand. 
Ich wusste, dass der Kratzer am Auto ihn aufregen würde, aber dass es ihn so in Rage versetzt, mich sogar körperlich anzugreifen, damit habe ich nicht gerechnet.
„Was soll der Scheiß?“ Wäre Wieber eine Comicfigur, wäre sein Kopf jetzt blutrot und rauchend. Seine Halsschlagader pulsiert so sehr, dass sich sogar der Kragen seines Lacoste-bewegt.
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, entgegne ich bloß, straffe die Schultern und will mich an ihm vorbeizwängen. Er packt mich am Arm. So fest, dass ich glaube, er will ihn mir brechen. Ich winde mich, versuche mich von ihm loszumachen. „Verpiss dich, Wieber.“
„Du dumme Schlampe hast mein Auto zerkratzt!“
„Du hast da sicherlich stichhaltige Beweise. Lass das doch einfach deinen Daddy und seine Anwälte klären.“ Ich weiß, dass es Wieber auf die Palme bringt, wenn man tut, als löse er all seine Probleme mit Hilfe seines Vaters. Dabei tut er genau das. Immer wieder. Papi rufen, wenn er Mist gebaut hat, damit Papi alles wieder gut macht. Ein Lächeln huscht mir über die Lippen. Vermutlich nicht der beste Moment keine Kontrolle über die eigenen Impulse zu haben.
„Du kleine Drecksschlampe meinst, du kannst dich hier aufführen, wie du willst. Ich werd dir schon zeigen, wo du hingehörst.“ Wiebers Mund ist ekelerregend nah an meinem Gesicht und obwohl ich es versuche, kann ich mich einfach nicht von ihm befreien.
„Aber wie sollst du das auch lernen, ohne Mann im Haus?“ Wieber spuckt neben mir auf den Boden. „Euch Lesben gehört es echt mal eingeprügelt.“ Er schiebt mich nach hinten, zurück in den versteckten Winkel, bis meine Hüfte schmerzlich gegen die Tischplatte gedrückt wird, die bis eben noch meine rettende Insel war.
„Lass mich los“, zische ich grimmig. Stattdessen packt er mit der anderen Hand mein Gesicht. Drückt mit Daumen und Zeigefinger meine Wangen zusammen. Mit einem Kopfschütteln versuche ich ihn abzuwimmeln, aber er greift nur fester zu. Ich befürchte, meine Backenzähne brechen jeden Moment aus meinem Kiefer.
„Sowas kann passieren, wenn man das Eigentum von anderen Leuten beschädigt.“
Wiebers Gesicht verzieht sich zu einer grinsenden Grimasse und er genießt es sichtlich Macht über mich zu haben. Das reicht. Voller Wucht ramme ich ihm mein Knie in den Schritt. Er stöhnt entsetzt auf und ich nutze den Moment, schubse ihn weg von mir und eile auf die Tür zu.
Aber er ist sofort hinter mir, packt mich bei meinen Haaren. Glühender Schmerz, der sich über meine Kopfhaut zieht und mir Tränen in die Augen treibt. Notgedrungen lande ich in einer beinahe knienden Haltung vor Wieber auf dem Boden. Ich wehre mich, kann ihn aus meiner Position jedoch nicht richtig erwischen. Kratze ihn aber an der Hand. Er zischt eine Beleidigung und im nächsten Moment reißt er mich herum und knallt mir seine Faust ins Gesicht. Explosionsartig nimmt es mir Sicht und Atem. Meine Lippe wird heiß und ich schmecke Blut. Ehe ich mich von dem Schlag gefangen habe, stößt Wieber mich von sich weg und ich lande unvorbereitet auf dem rauen Teppichboden der Bücherei. Der Geruch von jahrzehntealtem Staub stößt mir in die Nase und vermischt sich mit dem Geruch von meinem Blut.
„Ich hoffe, du verdammte Schlampe hast nun endlich verstanden, wo du hingehörst.“
Als ich versuche, mich aufzuraffen, bekomme ich einen Tritt in den Bauch und sacke zurück auf den Boden. Ich kann nicht atmen. Kann mich nicht bewegen, obwohl alles in mir vor Wut tobt und Mark Wieber das arrogante Grinsen aus dem Gesicht reißen möchte. Der Schmerz nimmt mir die Kontrolle über meinen Körper. Ich liege da, schnaufend, konzentriert darauf Luft zu bekommen. Starre mit tränenverschmiertem Blick hoch zu Wieber. Wieder spuckt er, trifft dieses Mal mein Gesicht.
„Pass auf mit wem du dich anlegst, Fotze. Beim nächsten Mal überlebst du es vielleicht nicht.“ Erneut trifft sein Fuß meinen Körper. Dieses Mal meine Hüfte. Damit lässt er mich liegen und verlässt die Bücherei. Die Stille, die mir eben noch Geborgenheit geschenkt hat, wirkt nun bedrohlich und kalt.
Aufstehen erscheint mir unmöglich. Ich liege geschafft auf dem grauen Teppich, der an meiner Wange kratzt und nach beklemmendem Mief riecht. Meine Sicht ist getrübt von Tränen, die mir warm über die Haut laufen, ehe sie in den Teppich sickern. Ich schluchze und mein Rotz vermischt sich mit dem Blut meiner Lippe, Es brennt. Mein ganzer Körper brennt. Vor Schmerz, vor Wut, vor Demütigung.
Ich bewege mich nicht. Wenn ich still liege, muss ich mich nie wieder mit dem Schmerz dieser Welt, meinem Schmerz, beschäftigen. Zeit spielt keine Rolle mehr für mich. Es ist mir egal. Alles ist egal. Tränen und Blut kleben an meiner Haut. Lassen sie jucken und spröde anfühlen. Mein Blick geht ins Leere, ohne dass ich etwas wahrnehme.
Ich habe in den Nachrichten gesehen, dass Leute grundlos einen Obdachlosen anzündeten. Mama hat von einem Bauern im Nachbarort erzählt, der einen Wurf Katzen in einer Tüte ersticken ließ, weil er sie nicht gebrauchen konnte. Menschen bringen andere Menschen um, wegen Geld oder Schmuck oder einfach weil sie es können. Und trotzdem erwartet jeder von mir, dass ich durch diese Welt gehe, als sei sie nicht komplett verkommen und kaputt. Als steckten wir alle nicht in dieser Suppe aus Schlechtigkeiten fest. Außer man gehört zur Familie Kardashian, Trump oder den Wiebers. Mit all dem Geld auf dem Konto und ohne auch nur das kleinste Stück Gewissen, lässt es sich vermutlich ganz gut aushalten. 
Meine Augen brennen vom Starren und Weinen, darum blinzle ich einige Male. Mein Blick klärt sich und ich erkenne, was ich die ganze Zeit angestarrt habe. 
Auf ein schwarzes Buch, das zwischen Wand und Bücherregal geklemmt ist. Nur sichtbar, wenn man am Boden liegt.
Ist es dahinter gerutscht? Es wirkt eher, als sei es versteckt worden.
Ich ziehe die Nase hoch, fahre mir vorsichtig mit dem Ärmel durchs Gesicht. Das Jucken der Tränenflüssigkeit auf der Haut lässt nach, wird durch Schmerz abgelöst als ich die Stelle berühre auf die Wieber mich geschlagen hat. Mir entfährt ein Zischen und kurz presse ich die Augen zusammen. Fokussiere mich dann aber wieder auf das versteckte Buch und schiebe meinen schmerzenden Körper über den Teppichboden. Näher an das Regal, bis ich direkt davor liege und die Ecke vom Buch genauer sehen kann. Ein schwarzes Notizbuch, keins der Ausleihbücher. Langweilig in seiner Erscheinung, interessant nur durch die Tatsache, dass es versteckt ist.
Ich will es hinter dem Regal hervorzuziehen. Aber es steckt fest. Der Winkel passt nicht. Jemand hat sich viel Mühe gemacht, das Buch hinter fest zu klemmen.
Stöhnend setze ich mich endlich auf. Ziehe ein Buch nach dem anderen aus dem Regal. Lege sie achtlos neben mich bis das Notizbuch freigelegt und besser zu greifen ist. Doch das Bücherregal ist so fest dagegen gedrückt, dass sich das Buch nicht rührt. Verdammt noch mal.
Gaarder, Gaiman, Gier, Goethe, Golding, Grimm – alle landen sie auf dem Boden, bis das Regal G so gut wie leer ist und ich es ein Stück von der Wand wegziehen kann.
Mit einem dumpfen Laut landet das Notizbuch auf dem Teppich.
Auf der ersten Seite begrüßt mich ein dunkles Kunstwerk. Mit einem schwarzen Filzstift ist fast die ganze Seite ausgemalt worden, die Stellen die ausgelassen wurden, bilden Buchstaben. Kunstvoll verschnörkelte Buchstaben.
„Welcome to my Ghost World“, begrüßen sie mich.
Irgendwo fällt eine Tür ins Schloss und ich schrecke auf.
Auf keinen Fall will ich hier in der Bücherei zwischen all den Büchern, die ich auf den Boden geworfen habe, gefunden werden. Noch weniger will ich, dass jemand sieht, wie Wieber mich zugerichtet hat. Ich schiebe das Buch in meine Tasche und werfe sie über die Schulter. An der Tür hole ich tief Luft ehe ich vorsichtig einen Blick auf den Flur werfe. Niemand da, also nichts wie weg.
Es ist lächerlich. Für gewöhnlich höre ich auf meinem Weg nach Hause Musik. Heute nicht. Stattdessen lausche ich auf auffällige Geräusche, die einen möglichen Angriff ankündigen. Ständig drehe ich mich um, überprüfe, dass mir wirklich niemand folgt. In meinem Magen rumort es vor Unwohlsein und ich muss mir eingestehen, dass ich Angst vor Wieber habe. Sofort brennt meine Kopfhaut wieder, als ich daran denke, wie er mich an den Haaren gepackt und daran gezerrt hat. Verdammtes Arschloch.
Ich ziehe meinen Schlüsselbund aus der Hosentasche. Lasse es wie ein Säckchen mit klimperndem Gold in meine rechte Hand fallen und schließe meine Faust darum. Was stand noch mal im Internet? Die Schlüssel zwischen die Finger oder lieber nicht? Ach, Mist.
Ein Schauer läuft mir über den Rücken, weil ich das Gefühl habe beobachtet zu werden. Ich blicke mich um, entdecke aber niemanden.
Der Nachmittag ist kühl und feucht und kaum jemand ist unterwegs. Trotzdem. Immer wieder kommt es mir vor als starre mich jemand an. Ich muss einfach schneller gehen. Schneller zuhause ankommen. Aber mein Tempo sorgt dafür, dass der Tritt, den ich in den Bauch bekommen habe, wieder deutlicher zu spüren ist. Ich schnaufe und atme gegen das Ziehen, wie gegen die Krämpfe während der Periode.
Meine Schritte werden langsamer als ich am Ende der Straße einen geparkten schwarzen Polo sehe. Zögernd bin kurz davor stehen zu bleiben. Überlege, ob ich die Straßenseite wechseln und einen anderen Weg nach Hause nehmen soll. Sehe mich um, ob jemand in der Nähe ist. Personen die bezeugen können, falls mir etwas passiert. Für den Fall der Fälle. Aber die Straßen sind wie leergefegt und auch der Wagen wirkt verlassen. Trotzdem vielleicht besser die andere Straßenseite.
Ich habe zwei Schritte in Richtung der Straße gemacht als ich doch stehen bleibe.
Nein. Dieses verdammte Arschloch wird nicht dafür sorgen, dass ich mir vor Angst in die Hose mache. Ich knete den Schlüsselbund und ziehe Kraft aus dem berauschenden Gefühl das ich hatte, als ich sein Auto zerkratzt habe. Ich ändere meine Richtung erneut und gehe geradeaus, direkt auf den Polo zu. Für jeden Schlag, jeden Tritt, jedes Haareziehen, wird sein Polo einen Kratzer bekommen. Für jede Beleidigung und jedes Spucken.
Soll er mich doch auf offener Straße umbringen. Meine Ma wird ihn in Grund und Boden klagen.
Nach ein paar weiteren Schritten erkenne ich einen „Kim an Bord“-Sticker auf dem Heck und atme langsam aus. Es ist nicht Wiebers Wagen.In mir tobt eine Mischung aus Scham und tiefer Wut. Ich bin wütend, dass Wieber trotz seiner Abwesenheit gerade so viel Macht über mich hatte. Ich mache das Arschloch fertig. Ich weiß noch nicht wie, aber der Typ wird es bereuen jemals meine Bekanntschaft gemacht zu haben.


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