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Welcome to my Ghost World | Kapitel 5

Yeah, yeah, yeah. 5000 € beim Crowdfunding geschafft – alles nur dank euch. Ihr seid die Tollsten! Ich bin so froh und freue mich schon jetzt darauf die ganzen Dankeschöns für euch vorzubereiten und zu verpacken.

Auch dieses Kapitel ist noch unlektoriert und unkorrigiert. Kann also sein, dass sich hier und da noch ein wenig was am Text ändert und ich habe ganz sicher noch nicht alle Fehler gefunden. (Dabei helfen mir Tino und Nadine.)

Bei Kapitel 1 anfangen. Hier geht’s zu den Content Notes.


„Geht’s dir besser?“, fragt Mama als ich in die Küche schlurfe. Meine Antwort ist nur ein vages Grunzen, denn ich fühle mich wie ein Turnschuh, der von Buster zerkaut wurde. Ich habe nicht besonders geschlafen. Bin ständig aufgeschreckt, wegen Albträumen oder der Angst, nicht mit Buster allein im Zimmer zu sein.
„Für die Schule wird’s reichen“, füge ich hinzu und lasse mich auf einen der Küchenstühle fallen. Ich ziehe die dampfende Kaffeetasse zu mir, die eigentlich für Ma auf dem Tisch steht, aber Mama lässt mich gewähren.
„Es steht also nichts Wichtiges an?“, hakt sie nach und holt eine neue Tasse aus dem Schrank.
Ich zucke mit den Schultern. „Nichts weiter als dem üblichen hohlen Getue der Erich-Kästner-Gesamtschule, mit all ihren blasierten Schüler*innen und einem so staubig-antiquierten Lehrkörper, dass man ihn wegpusten könnte, wenn man wollte. Aber darf man nicht, denn dann heißt es sofort, man sei unehrerbietig. Denn das ist alles was den Autoritäten teuer ist: Dass ihnen Respekt entgegengebracht wird. Während sie selbst nicht mal wissen, wie man das Wort schreibt, geschweige denn, wie man diesen jüngeren Generationen etwas entgegenbringt. Und eine Matheklausur.“
„Das sind ziemlich viele große Wörter so früh am Morgen“, sagt Ma, die gerade in die Küche kommt und unmittelbar Kaffee in die neue Tasse gießt, die an ihrem Platz steht.
„Ist es mit Mona wenigstens wieder besser?“, fragt Mama und beißt in ihren Bagel mit Frischkäse.
Ich verziehe den Mund, was mit einem ziehenden Schmerz quittiert wird. „Ich hab keinen Bock mehr auf sie.“
Meine Mütter werfen sich einen dieser Blicke zu.
„Was?“, hake ich nach.
„Nichts“, sagen sie beide sofort und beschäftigen sich mit ihrem Frühstück als wüsste ich nicht, dass sie anderer Meinung sind als ich.
Ich schnaube und nehme einen weiteren Schluck Kaffee. „Es ist besser so.“
Und die meiste Zeit glaube ich das wirklich.
Mona und ich … das ist einfach nicht mehr, was es mal war.
Irgendwann sind unsere Wege in verschiedene Richtungen weitergegangen. Best friends for ever am Arsch. So ist das wohl im Leben. Man geht zusammen zum Kindergarten, klebt sich nach dem Skateboard fahren Pflaster auf die aufgeschlagenen Knie, verbringt jeden Tag der Sommerferien zusammen im Freibad und zeltet, knüpft sich Freundschaftsbänder, lernt gemeinsam für alle Klausuren und schimpft auf die Lehrer*innen und die Noten. Und dann kommt so ein Sunnyboy-Arschloch wie Wieber daher und auf einmal ist das alles vergessen.
Ich schnappe mir eins der veganen Croissants als ich vom Tisch aufstehe. Buster folgt mir schwanzwedelnd nach oben, in der Hoffnung etwas von dem Gebäckteilchen abzubekommen. Zum Trost, dass ich es nicht mit ihm teilen werde, kraule ich ihn einen Moment hinter den Ohren. Der Blick auf die Uhr sagt, dass ich spät dran bin, also schnappe ich mir meine Mathesachen, weil ich vor der Schule unbedingt noch mal reinschauen sollte, und werfe sie in meine Tasche. Etui, das gefundene Notizbuch, Kopfhörer und das Handy, auf dem nun wieder Monas Nachricht aufleuchtet.
„Ja, gleich“, denke ich und manövriere mich am immer noch auf einen Snack hoffenden Buster vorbei.
Zurück in der Küche lasse ich einen Apfel in meine Tasche fallen, schnappe mir ein zweites Croissant und werfe meinen Müttern beim Rausgehen einen Luftkuss zu. „Bis später.“
„Wenn es dir schlecht geht, dann melde dich“, ruft Mama mir noch nach. Und schon bin ich draußen und stehe im Halbdunkel eines weiteren Tages, der verspricht genau so grau und feucht wie der vorherige zu werden. Die morgendliche Kälte des Novembers begrüßt mich wie eine alte Freundin.
Während ich das Croissant esse, öffne ich auf dem Handy den Nachrichtenverlauf von Mona und mir. Eine Reihe Nachrichten, die ich selbst geschrieben habe, begrüßen mich.
Hast du Zeit?
Telefonieren?
Wollen wir ins Kino?
Wie geht’s dir?
Hallo?
???
Alle gelesen, aber nie von Mona beantwortet. Warum weiß ich nicht. Wenn wir uns in der Schule mal über den Weg laufen, redet sie mit mir, tut fast so als sei alles wie immer. Nach der Schule ist es, als existiere ich für sie nicht mehr. Es fällt mir leicht zu denken, dass Wieber etwas damit zu tun hat. Es sticht im Herz, zu wissen, dass – ob Wieber über mich herzieht oder nicht – er ihr mittlerweile wichtiger ist, als ich. Seit letzten Sommer sind sie zusammen, aber verknallt ist sie schon seit der zehnten Klasse in ihn. Mann, wie viele Nächte habe ich neben ihr im Bett gelegen und mir angehört, wie toll er doch ist. Hab gedacht, das vergeht schon wieder, hab vorsichtig darauf hingewiesen, was er für problematisches Zeug von sich gibt. Nützte alles nichts. Ganz im Gegenteil, sie ist sogar immer häufiger sauer auf mich geworden, wenn ich Kritik geäußert habe. 
Der Stich wird zu Schmerz und breitet sich in mir aus. Hüllt meinen ganzen Körper in diese beengende und bedrückende Melancholie.
Ihr gegenüber ist er natürlich immer der perfekte Gentleman. Charmant und lustig. Ich sehe es, wenn ich die beiden beobachte. Trotzdem hatte ich gedacht, dass das Band zwischen Mona und mir stärker ist. Dass es nicht sofort reißt, sobald sich eine von uns verliebt.
Eine kleine Stimme in mir flüstert, es liegt an mir, es sei meine Schuld. Ich gehe etwas schneller als könnte ich ihr so davonlaufen. Aber weil ich weiß, dass ich dieser Stimme nicht entkommen kann, suche ich in meiner Tasche gleichzeitig nach den Kopfhörern. Jetzt hilft nur noch Musik. Ich schiebe den Rest des Croissants in den Mund, um besser in der Tasche wühlen zu können.
Trotzdem rutscht mir schließlich der Riemen von der Schulter. Ich bekomme ihn nicht schnell genug zu fassen und die Tasche samt Inhalt landet auf der Straße.
„Mist“, fluche ich und bücke mich, um die Sachen aufzusammeln. Als ich mich aufrichte, steht sie vor mir. Unwillkürlich mache ich einen Schritt rückwärts.
„Hi“, sagt die Fremde, die schon gestern in meinem Zimmer saß, und lächelt freundlich.
„Oh nein. Nein, nein, nein, nein, nein, nein.“ Ich sehe mich kurz um, prüfe, wo ich bin und gehe dann zügig in eine Richtung, die zwar ein Umweg zur Schule ist, aber mich weg von der unheimlichen Fremden führt.
„Bitte warte“, sagt sie hinter mir, aber ich fingere schon eifrig an den Kopfhörern, um endlich jegliche Stimmen verbannen zu können.
„Das ist nicht echt, das ist nicht echt, das ist nicht echt“, bete ich mantraartig herunter.
Als ich die Kopfhörer endlich auf den Ohren habe, verkünden sie mit einem kläglichen Geräusch, dass ihr Akku leer ist.
„Wollt ihr mich verarschen?“, zische ich gereizt und gehe noch schneller in der Hoffnung, die Fremde abhängen zu können. Aber ich traue mich nicht über die Schulter zu gucken, ob sich der Abstand zwischen uns tatsächlich vergrößert. 
Einfach ignorieren, dann wird sie schon wieder verschwinden.
Ich frage mich ernsthaft, ob die Prügel von Wieber irgendwas in meinem Hirn kaputt gemacht haben, weswegen ich nun halluziniere?
Schöne Scheiße.
Mir brennt die Lunge vom hastigen Gehen und der kalten Luft, aber als ich endlich die Schule sehen kann, entspanne ich mich ein wenig. Was merkwürdig ist, denn ein Gefühl der Erleichterung hat die Schule lange nicht in mir ausgelöst. 
Als das Gebäude nur noch so weit entfernt ist, dass ich sie mit einem kleinen Sprint erreichen könnte, traue ich mich endlich, mich umzusehen.
Niemand da. Erleichtert atme ich aus.

Bis auf das Licht auf den Fluren liegt noch alles im Dunkeln. Die Lehrpersonen, die schon da sind, sitzen im Kollegiumszimmer, andere Schüler*innen sind bisher kaum da.
Zielstrebig gehe ich zur Schulbücherei. Ich müsste eigentlich erst zur ersten Pause wieder dort sein, aber ich hoffe, dass bisher niemand das Chaos entdeckt hat und ich es noch beseitigen kann.
Wie erwartet finde ich die Bücherei abgeschlossen vor und das Durcheinander vom Vortag ist unverändert. Wenn mich schon Geister besuchen, warum dann keine, die mein Chaos aufräumen?
Ich lege meine Sachen ab und mache mich daran Bücher zurück ins Regal zu stellen. Buch für Buch merke ich, wie unwohl ich mich fühle, weil ich mit dem Rücken zur Tür arbeiten muss. Dieser verdammte Wieber. Ich habe noch nie erlebt, dass für ihn etwas schon mal so richtig Konsequenzen hatte. Außer vielleicht seine schlechten Noten, denn immerhin wiederholt er die Zwölfte jetzt zum zweiten Mal. Da hat wohl auch Papi Stadtrat nichts mehr machen können. Aber ansonsten … Als er vorletztes Jahr fast den Chemieraum in die Luft gejagt hat, weil er nicht auf Frau Schriek gehört und einfach irgendwelche Substanzen gemischt hat – ein paar Mal nachsitzen und das war’s. Dank eines dicken Schecks seiner Eltern. Nicht mal als Tim beide Schneidezähne verloren hat, weil Wieber es irgendwie lustig fand, ihn auf der Treppe zu schubsen und Tim dann gestürzt ist, gab es nennenswert Ärger für ihn. Mit allem kommt er davon.
Auf dem Flur sind Schritte zu hören und ich fahre angespannt herum. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Wieber nicht ambitioniert genug ist, um früher zur Schule zu gehen als er muss und versuche mich wieder zu entspannen nachdem die Schritte verklungen sind.
Ich muss mich heute einfach möglichst in der Nähe von anderen Menschen aufhalten, damit er mir nicht auflauern kann. Nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung, meine Zeit in der Nähe von anderen Menschen zu verbringen, aber es wird schon gehen.
Als ich fertig bin, habe ich noch immer eine gute Viertelstunde bis zur ersten Stunde. Ich sollte wohl Mathe lernen, stattdessen ziehe ich das Notizbuch aus der Tasche. Was ich bisher gesehen habe, gefällt mir gut. Die Zeichnungen sind wunderschön und gleichzeitig irgendwie grotesk. Sie wirken wie Skizzen, dabei steckt so viel mehr in ihnen. An die warme Heizung gelehnt, lege ich meinen Schal neben mich und das Buch auf meine angewinkelten Beine.
Welcome to my Ghost World
Der nackten Frau mit den Schädeln, die ich schon gestern bewundert habe, folgen weitere gesichtslose Menschen. Meistens Frauen, manchmal auch Männer. Alle im gleichen Stil und ausschließlich schwarz auf weiß. Oft begleitet von Krähen, Geistern oder Skeletten, vielen eher morbiden Details, die meiner dunklen Seele besonders gefallen.
Ich blättere weiter, wundere mich über den Rest einer herausgerissenen Seite, staune über die filigrane Zeichnung einer Rose, eine Seite voller Motten und werde schließlich überrascht von einer Zeichnung, die vor Farbe geradezu explodiert.
Sie ist anders als die vorherigen, nicht nur, weil sie bunt ist. Der Zeichenstil ist anders. Weniger grob und skizzenhaft, stattdessen sieht mich das Portrait einer jungen Frau an, die der Fremden ähnlich sieht. Mit dunklen Augen, lachend und mit wallendem Haar, dass ihr über die Schultern fällt. Auf dem Kopf eine Krone wie die von Loki aus den Marvel-Filmen. Sie trägt ein grünes Kleid. In der einen Hand hält sie eine übergroße Häkelnadel, in der anderen ein Stück Kuchen. Auf ihrer Schulter sitzt ein Chamäleon, das sich kein bisschen der Umgebung angepasst hat. Am Himmel hinter ihr stehen gleichzeitig die Sonne und der Mond und drumherum ein paar Sterne. Einige fallen vom Himmel, verfangen sich in ihren Haaren, oder liegen auf dem Boden im Gras, zwischen Laub und Musiknoten, Klee und Bienen.
Darunter steht: the strength, the love, the power.
Als die Tür zur Bücherei aufschwingt, zucke ich heftig zusammen. Das Buch rutscht von meinem Schoß und landet zugeschlagen auf dem Boden.
Monas rotblonder Lockenkopf erscheint und sie blickt unsicher herein. Als sie mich entdeckt bekommt sie große Augen. Ich ziehe meine Ärmel über die Handgelenke, verstecke die Armbänder darunter.
„Ach du scheiße“, entfährt es ihr. Sie schließt die Tür hinter sich als sie reinkommt. Mit besorgtem Gesicht kommt sie auf mich zu, als seien wir noch immer die besten Freundinnen seit dem Kindergarten. Unschlüssig steht sie vor mir. „Was ist passiert?“
„Bin gestürzt“, sage ich gereizter als beabsichtigt. Den Teufel werde ich tun und ihr erzählen, was ihr Freund getan hat. Sie wird es mir eh nicht glauben. Ich habe keine Lust, dass sie mich mit diesem Blick ansieht. Diesen Blick der zusammen mit Wieber in mein Leben gekommen ist: Skepsis. Als würde ich ihr ihre Gefühle nicht gönnen oder sowas. Das tue ich. Wirklich. Ich kann nur einfach nicht begreifen, warum die liebe und kluge Mona unbedingt an Wiebers Seite ihr großes Glück vermutet. Ich habe lange aufgegeben zu versuchen sie auf seine sadistische Seite aufmerksam zu machen. Und sie hat lange daran gearbeitet immer im richtigen Moment wegzusehen, damit ihr Bild von Wieber nicht zerspringt. Ähnlich wie Mathe, verstehe ich auch das nicht. Und das war quasi der Anfang vom Ende. Sie wollte nicht mehr hören, was ich über Wieber zu sagen habe und ich wollte nicht hören, wie er ihrer Meinung nach wirklich ist.
In Monas Gesicht passiert etwas, das ich nicht lesen kann. Früher konnte ich das immer. Sie geht vor mir in die Hocke.
„Steht dir gut“, sagt sie und versucht sich an einem versöhnlichen Lächeln. „Der neue Haarschnitt“, fügt sie hinzu, um mir direkt die Luft für eine spitze Bemerkung zu nehmen.
Ich verziehe meinen Mund, glaube aber nicht, dass es als Lächeln durchgeht. Aber die verletzte Lippe entschuldigt das.
Ich glaube, sie weiß es. Ich glaube, irgendwo tief in ihr, weiß Mona ganz genau, was Wieber für ein Kerl ist. Bekommt manche seiner Kommentare mit. Überhört sie als sei es keine Absicht von ihm. Und ich halte rein gar nichts von Wieber, aber das muss man ihm lassen: Er hat ein großes Talent dafür, den Leuten ein gewisses Bild von sich in den Kopf zu pflanzen. Und hasst Leute, wie mich, bei denen das nicht funktioniert. 
Dennoch sollte man doch meinen, dass gut vierzehn Jahre Freundschaft meiner Meinung etwas mehr Gewicht geben würden. Dass Mona weiß, dass ich nie etwas Schlechtes für sie will und nur deswegen nicht ertrage, dass sie mit Wieber zusammen ist.
Ich sehe sie an und obwohl ich ihr Gesicht kenne, schon so lange kenne, ist es mir beinahe fremd. Sie ist direkt vor mir und trotzdem ist das Gefühl des Vermissens so stark, als wäre sie auf einem anderen Planeten.
„Für immer und ewig“, erinnere ich mich. Unser Lachen als wir uns gegenseitig die Freundschaftsbändchen umbinden. Die Bändchen die nun beide an meinem Handgelenk hängen und auf der Haut brennen. Mein Herz schlägt, aber es fühlt sich an, als sei es eingeschnürt. Mit jeder Erinnerung an Geburtstage, Sommerferien, Kaufhausbesuche, geschwänzte Sportstunden, Filmabende, wird mir klarer, dass keine neuen Erinnerungen mehr dazukommen. Und die Schlingen um mein Herz werden enger und enger.
Mona wirkt als wolle sie etwas zur Situation sagen. Doch sie richtet sich auf. Holt stattdessen ihren Rucksack hervor und zieht ein Buch raus. „Wollte das zurückgeben.“
Sie wackelt mit einer Ausgabe von „Ich werde immer da sein, wo du auch bist“ vor meinem Gesicht und ich will fast lachen, so ironisch ist das. Aber ich raffe mich auf und nehme ihr das Buch ab. Am Schreibtisch mit dem Computer, ziehe ich die Karte vom Buch aus der Karteikartenkiste. Mona steht da und schaut zu. Es nervt mich. Sie strahlt so sehr aus, dass sie nicht mehr hier sein will, es ist nicht auszuhalten.
„Musst mir nicht zusehen“, gebe ich grummelnd von mir und sie lächelt erleichtert.
„Wir sehen uns“, sagt sie als sie bereits an der Tür ist. Dann ist sie weg und die Tür fällt hinter ihr zu.
„Als ob“, flüstere ich und schlucke das bittere Gefühl herunter. Versuche es zu ignorieren, wie schon so lange. Ich starre auf die Karte, auf Monas Namen. Brauche einen Augenblick, bis ich schließlich das heutige Datum an s Ende der Zeile schreibe und die Karte in das Buch stecke. Es landet auf dem Stapel mit den Büchern die ich als nächstes digitalisieren will. Auf den Fluren wird es lauter und die Uhr über der Tür verrät, dass es bald Zeit für die Matheklausur ist.
Ich seufze schwer, klaube das Notizbuch auf, um es in meine Tasche zu stecken. Als ich mich umdrehe, um noch meinen Schal zu holen, strauchle ich vor Schreck rückwärts und werfe dabei einen der Stühle um.
„Verdammte Scheiße!“ fahre ich die Fremde erschrocken an.
„Bitte lauf nicht weg“, sagt sie flehend.
„Was willst du von mir?“, frage ich laut.
Sie macht einen Schritt auf mich zu, nicht bedrohlich, trotzdem weiche ich vor ihr zurück, um den Abstand zu wahren. „Sag mir, warum du mich verfolgst.“
Die Fremde wirkt unglücklich, hat eine Falte auf der Stirn. Während ich sie beobachte, bekomme ich den Eindruck, dass sie darauf keine Antwort weiß.
Schließlich räuspert sie sich und sagt: „Das Notizbuch. Ich glaube, es ist meins.“
Ihr Blick huscht zu meiner Tasche, in dem das Buch steckt.
„Dann nimm’s halt, aber lass mich in Ruhe“, entgegne ich gereizt und reiße das Buch heraus, schleudere es ihr entgegen. Erwarte, dass sie es fängt. Doch sie zuckt nicht mal als das Buch einfach durch sie hindurch gleitet. Es donnert gegen den Heizkörper, ehe es auf den Boden neben meinen Schal fällt.
„Das kann nicht sein“, rede ich mir gut zu und weiche weiter von ihr zurück. Hier stimmt etwas ganz und gar nicht.
„Wer bist du?“
„Ich … ich weiß es nicht.“ Sie sieht unglücklich aus als sie das sagt und für einen Moment flammt tatsächlich Mitleid in mir auf.
Ich sehe zum Notizbuch das hinter ihr liegt. Drei Schritte und ich hätte es zurück und könnte abhauen.
„Bitte“, sagt sie, als hätte sie meine Überlegung gehört. „Ich brauche deine Hilfe.“
Ich fahre mir mit der Hand durch die kurzen Haare. „Das kann doch nicht sein.“
Scheiß auf das Buch und den Schal. Ich packe meine Tasche und wende mich der Tür zu. Kopfschüttelnd, vor mich hinmurmelnd.
„Ich träume. Oder halluziniere. Das ist nicht echt, das ist nicht echt, das ist nicht echt.“ Ich kann einfach nicht glauben, dass sie … ein Geist? Das kann einfach nicht sein.
„Bitte lauf nicht weg“, höre ich sie hinter mir. „Du bist die Einzige, die mich sehen und hören kann.“
„Na wunderbar“, entfährt es mir voller Sarkasmus. Trotzdem drücke ich die Klinke herunter und verlasse die Bücherei. Ich drehe mich nicht um, prüfe nicht, ob sie mir folgt. Mit schnellen Schritten gehe ich zum Treppenhaus und ins obere Stockwerk. Der Unterricht hat längst begonnen und ich kann mir sicher sein, dass ich einen herrlichen Anschiss von Jablonski bekommen werde.


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