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Welcome to my Ghost World | Kapitel 3

Mega! Die 3000 € sind geknackt. Hammermäßig. Zu gerne lasse ich euch dafür schon mal Kapitel 3 vorablesen. Wie auch die anderen Kapitel ist es noch unlektoriert und unkorrigiert. Es kann also sein, dass sich hier und da noch ein wenig was am Text ändert und ich habe ganz sicher noch nicht alle Fehler gefunden. (Dabei helfen mir Tino und Nadine.)
Wirklich, ihr seid die beste Crowd und ich bin so dankbar für eure Unterstützung!

Bei Kapitel 1 anfangen. Hier geht’s zu den Content Notes.


Ich atme frustriert aus, als ich sehe, dass in unserer Küche bereits Licht brennt. Mama ist schon zu Hause. Eigentlich kein Wunder, dass sie vor mir da ist, ich habe ja eine Ewigkeit gebraucht, um nach Hause zu kommen.
Auf keinen Fall darf sie mich sehen, ehe ich mich waschen konnte.
So leise ich kann, schiebe ich den Schlüssel in das Schloss und öffne die Tür. Der Geruch von gebratenen Zwiebeln begrüßt mich, zusammen mit Buster.
„Psst“, beruhige ich ihn und streichle sein langes, braunes Fell, während ich ihn zurück ins Haus dränge. Aber es nützt nichts, er freut sich zu sehr, dass ich da bin und springt aufgeregt um mich herum. Seine Krallen auf den Fliesen sind kaum zu überhören, obwohl in der Küche die Zwiebeln in der Pfanne laut zischen.
„Hallo Süße. Da bist du ja endlich“, ruft Mama aus der Küche. „Zwei Hände mehr um Falafel zu rollen.“
„Muss eben aufs Klo“, lüge ich und eile die Treppe hoch ins obere Bad. Ich brauche einen Moment, ehe ich den Blick in den Spiegel wage.
Meine Mascara ist verlaufen und ich habe trotz des Abwischens mit meinem Ärmel noch immer Blut am Kinn. Meine Oberlippe ist aufgeplatzt und dick. Vorsichtig berühre ich sie mit der Fingerspitze, ziehe meine Hand aber sofort zurück, weil es höllisch zieht. Ich wage einen Versuch zu Lächeln, lasse es aber sofort wieder.
Ich ziehe mein Shirt aus der Hose. Auf meinem Bauch hat sich bereits ein leicht violetter Schatten gebildet, dort wo Wiebers Fuß mich getroffen hat. Es schmerzt, wenn ich drücke, aber nicht so schlimm, wie meine Lippe.
Geschafft setze ich mich auf den Toilettendeckel. Reibe die Schminke und das restliche Blut mit ein paar Feuchttüchern ab und wünschte, ich könnte auch ein wenig von dem schalen Gefühl in mir damit weg reiben. Klappt natürlich nicht.
Wütend pfeffere ich die dreckigen Tücher in den Mülleimer und betrachte mein Gesicht erneut im Spiegel. Besser, aber die Lippe wird Mama nicht übersehen.
Die meiste Zeit ist es sehr ätzend eine Frau zu sein. Ständig wird man bevormundet oder nicht für voll genommen oder sonst irgendwie für unklug oder weniger wert verkauft. An Tagen wie heute, wo ein Arschloch wie Mark Wieber mir zeigen will, wo mein Platz in der Welt ist, da hasse ich es noch mehr. Ich streiche mir über den Kopf und merke, dass auch meine Kopfhaut sich wund anfühlt. Genau wie meine Seele.
Hätte er mich überhaupt so zurichten können, wenn er mich nicht bei den langen Haaren gepackt hätte?
Ich halte meine Haare zusammen, als wollte ich mir einen Pferdeschwanz binden.
Auch nicht besser, den kann man ja noch gezielter greifen.
Als ich meine Haare loslasse, fallen sie mir wieder über die Schultern. Träge und kraftlos.
Erneut greife ich sie, wickle sie auf, als wollte ich einen Dutt machen. Weniger einladend als der Pferdeschwanz, aber keineswegs befriedigend. Wieder fallen die Haare über meine Schultern. Völlig nutzlos. Außer für Wieber.
Aus der Schublade des Badezimmerschranks ziehe ich eine der Haarscheren von Mama. Lasse sie ein paar Mal auf und zu gleiten und lausche dem metallisch schabenden Geräusch, das die Bewegung macht.
Mein Blick fällt auf meine Adern am linken Handgelenk. Sie treten heute besonders blau auf meiner blassen Haut hervor. Mit der Spitze der Schere ziehe ich die Adern nach. Erst leicht, dann etwas fester und noch etwas fester. Auf meiner Haut bleiben rote Striemen zurück. Wie feste ich wohl drücken müsste, damit es blutet?  Manchmal frage ich mich, ob es besser wäre, es einfach zu beenden. Sich nicht mehr mit all diesem ganzen Scheiß herumzuschlagen. Aber dann befürchte ich, dass das alles vielleicht nur von noch viel größerer Scheiße abgelöst wird und die Überlegungen verfliegen wieder.
Entschlossen packe ich meine Haare und schneide Strähne für Strähne ab. Wie gefallene Engel gleiten sie ins Waschbecken und auf den Boden. Lassen sich dort nieder und verdunkeln die hellen Fliesen.
Die linke Hälfte meines Kopfs sieht aus wie ein gerupftes Huhn als ich wieder zu sowas wie Verstand komme und begreife, was ich gerade getan habe. Mir schießen Tränen in die Augen und mit einem Mal erschlägt mich das Elend, das ich in den letzten Stunden gekonnt zu ignorieren versucht habe.
„Mama“, jaule ich und schließe die Badezimmertür auf. „Mama, kannst du mir helfen?“, rufe ich den Flur runter und kann das Schluchzen kaum unterdrücken.
„Was ist denn los?“, ruft Mama besorgt, eilt aber bereits die Treppe hoch. Mit aufgerissenen Augen starrt sie mich an.
„Was ist passiert?“, fragt sie erschrocken. Beschämt schaue ich zu Boden. Halte es nicht aus sie anzusehen, wenn ich mich so elendig fühle.
„Was ist mit deiner Lippe passiert?“, fragt Mama und steht nun neben mir. Die Hände an meinen Schultern, um mich zu halten.
„Hab mich geprügelt“, lüge ich.
„Lulu“, sagt Mama. Ihre Hand liegt nun an meiner Wange und sie versucht mich mit sanftem Druck dazu zu bringen, sie anzusehen. Keine Chance.
„Und deine Haare?“
Ich wische meine Tränen und ihre Hand weg. „Die sind ein Nachteil beim Kämpfen.“
„Ach Lulu“, sagt Mama und nimmt mich in den Arm. Ich stütze ich mich dankbar gegen sie und lasse es zu, dass sie mich tröstet.
Ma wird mich später vermutlich nicht so leicht ohne Erklärungen davonkommen lassen.
„Kurzhaarfrisuren sind aktuell ja sehr im Trend“, sagt Mama leise und ich kann hören, dass sie lächelt, versucht mich aufzubauen. Ich schaue sie endlich an.
„Es soll einfach nur nicht mehr so aussehen, als sei ich durchgedreht und mit dem Kopf zuerst in einen Mähdrescher gesprungen.“
„Nichts leichter als das“, sagt Mama und lotst mich in Richtung Treppe. „Unten ist das Licht besser.“ Aber mir entgeht nicht, dass sie einen Blick ins Badezimmer wirft, um vielleicht herauszufinden, was wirklich vorgefallen ist.
Der Esszimmerboden ist voller Haare. Mama hat Buster in den Flur geschickt, weil er ständig zu mir wollte, die Haare aufgewirbelt hat und ihr im Weg rumstand. Mein Kopf sieht jetzt nicht mehr aus wie ein Unfall, sondern wie die Kopie eines coolen Miley-Cyrus-Kurzhaarschnitts. An den Seiten kurzrasiert, oben etwas länger. Aber nicht so lang, dass man sich darin besonders gut festgreifen könnte.
„Gefällt’s dir?“, fragt Mama und hält zwei ihrer Spiegel so hoch, dass ich den Haarschnitt von allen Seiten begutachten kann. Ich lege nicht viel Wert auf diese Sachen. Klamotten, Frisuren, Make-up. Aber ich weiß, dass Mama sich sehr bemüht, mich nicht die ganze Zeit auszufragen, was passiert ist, darum schenke ich ihr ein strahlendes, wenn auch schmerzendes, Lächeln.
„Ganz wunderbar“, sage ich und fahre mir mit der Hand durch das ungewohnt kurze Haar.
„Dein Glück, dass du zufällig eine Friseurmeisterin zur Mutter hast“, sagt Mama und macht eine gespielt eingebildete Geste. Tut so, als würde sie ihren blonden Kurzbob richten und macht dabei kurz ein Duckface als würde sie für eine Kamera posieren. „Dafür hast du heute Kehrdienst.“
„Ich nehme an, dieses Mal bekomme ich kein Geld dafür?“
Als ich jünger war, hatte ich regelmäßig Kehrdienst in ihrem Salon, um mein Taschengeld aufzubessern. Aber für was soll man sein Geld schon ausgeben, wenn die Welt ohnehin vor die Hunde geht? Darum habe ich das schon ewig nicht mehr gemacht.
„Einen Cent für deine Gedanken“, entgegnet Mama und packt ihre Utensilien zurück in die Tasche.
„Du willst mich dafür bezahlen, dass ich dir erzähle, was passiert ist?“
„Wenn es hilft, dass du mit uns sprichst“, sagt Mama und versucht ihre Besorgnis hinter einem unschuldigen Lächeln zu verbergen.
„Nicht weiter der Rede wert“, sage ich seufzend und hole den Besen.
„Das wird deine Ma gleich anders sehen“, triezt mich Mama.
„Vielleicht fällt es ihr ja nicht auf“, entgegne ich hoffnungsvoll und Mama lacht schallend.
„Von schulterlang auf Kurzhaarschnitt. Cami ist manchmal noch sehr mit dem Kopf bei der Arbeit, wenn sie heimkommt, aber das wird selbst ihr auffallen.“
Ich verziehe schmollend den Mund, während ich die Haare zusammenfege. Sofort zieht mir wieder der Schmerz durchs Gesicht und lässt mich stöhnen.
„Vielleicht sollte da doch etwas Eis drauf“, schlägt Mama vor und ihr gerade noch heiteres Gesicht, wird wieder durch das mit der Sorgenfalte in der Stirn abgelöst.
„Geht schon“, sag ich und fege den Haarberg auf ein Kehrblech.


„Was ist mit dir passiert?“, Ma fixiert mich mit ihren blauen Augen. Kommt auf mich zu.
Ich sitze auf der Couch und blättere in einer Graphic Novel. „Hatte Lust auf einen neuen Look“, sage ich, ohne aufzusehen. Sie legt ihre Hand unter mein Kinn. Mit sanfter Strenge zwingt sie mich, sie anzusehen.
„Ich meine nicht deine Haare, ich meine das da.“ Mit der anderen Hand deutet sie in mein Gesicht und meint wohl meine dicke Lippe.
„Nicht so schlimm“, sage ich und ziehe mein Kinn aus ihrem Griff.
„Wer war das?“, fragt sie besorgt und setzt sich neben mich auf das Sofa. Buster legt seinen Kopf auf ihr Bein, erwartet, dass sie ihn streichelt, aber sie ist voll und ganz auf mich konzentriert. Sie wird mich nicht so einfach ohne Erklärung davon kommen lassen, wie Mama.
„Ist nicht weiter schlimm“, wiederhole ich und lächle vorsichtig, weil das immer noch höllisch weh tut.
Ma schließt kurz ihre Augen und wirkt traurig. „Ist das wieder wegen uns passiert?“ Ihre Stimme klingt dünner als sonst. Sofort habe ich einen Kloß im Hals.
„Spielt doch keine Rolle“, entgegne ich und versuche taff zu klingen. Ich öffne wieder meine Graphic Novel und konzentriere mich sehr auf die Farben und die Linienführung der Zeichnungen. Es bricht mir das Herz, das alles. Ich weiß, dass meine Mütter es nicht leicht hatten. Und es noch heute oft an ihnen zerrt, dass die Gesellschaft, sie nicht akzeptieren kann. Mas Familie redet überhaupt nicht mehr mit ihr, seit sie wissen, dass sie Frauen liebt. Ich weiß nicht viel darüber, aber Mama hat mal erzählt, dass es Ma trotz all der Zeit immer noch sehr verletzt.
Dass ihre Tochter in der Schule eine dicke Lippe bekommt, weil sie zwei Mütter hat, streut Salz in dieselbe Wunde.
„Ach“, sagt sie seufzend und zieht mich an sich, für eine seitliche Umarmung. Ich lasse die Graphic Novel wieder in meinen Schoß gleiten und halte ihren Arm mit meinen Händen. Wir wissen beide, dass es für dieses Problem erstmal keine Lösung gibt. Aber es ist schön, dass wir uns haben.
„Soll ich ihm die Hölle heiß machen?“
Jemandem die Hölle heiß machen, ist Mas Leidenschaft, deswegen ist sie Anwältin geworden. Ich muss schlucken, denn eine Sache muss ich ihr nun doch beichten.
„Du wirst mir gleich die Hölle heiß machen“, gestehe ich und obwohl sie sich anders hinsetzt, damit sie mich ansehen kann, starre ich auf meine Knie und vermeide Augenkontakt.
„Los, raus damit“, fordert sie.
„Es könnte sein, dass ich ein Auto zerkratzt habe.“
Ma lacht auf. Kein freudiges, amüsiertes Lachen, sondern ein das-darf-doch-jetzt-nicht-wahr-sein-Lachen. „Es könnte sein?“, hakt sie nach.
Ich nicke und mache mich gefasst auf die Standpauke. Aber Ma atmet nur tief aus, fährt mit der Hand durch ihre dunklen, kurzen Haare. Dann zieht sie mich wieder an sich.
„Ich hoffe, das war die dicke Lippe wert“, sagt sie und ich bin ehrlich überrascht, dass sie mich so ohne Weiteres damit davonkommen lässt.
„Danke“, flüstere ich und lege meinen Kopf an ihre Schulter. Beobachte Buster, der vor der Couch liegt, seinen Kopf auf Mas Fuß abgelegt hat und zu uns hochblickt, als sei er neidisch, dass er nicht Teil der Umarmung ist.
„Und warum der Haarschnitt?“ Ma flüstert jetzt. Das ist diese Sache zwischen uns, wenn wir über Dinge reden, die zu groß erscheinen. Dann flüstern wir.
Mama ist oben, außer Hörweite, darum antworte ich leise: „Dann kann man mich bei einem Angriff nicht mehr so gut packen.“
Ma seufzt und ich höre sie Schlucken. „Wir müssen das der Schulleitung melden.“
„Nein“, sage ich bestimmt, aber noch immer flüsternd. „Es wird dann nur noch schlimmer.“
Erneut ein Seufzen von Ma. Sie streicht mir über den Kopf, was sich wegen des neuen Haarschnitts ungewohnt anfühlt.
„Oh, meine kleine Kämpferin“, sagt sie.
„Bist du sauer?“, frage ich wieder in normaler Tonlage.
Ich kann spüren, dass sie den Kopf schüttelt. „Nein, ich bin nicht sauer.“
„Aber enttäuscht.“
Es dauert zwei Herzschläge bis sie antwortet und ich habe Angst, dass sie ja sagt.
„Ich bin stolz auf dich.“
Verwirrt löse ich mich von ihr, um sie ansehen zu können.
„Weil ich ein Auto zerkratzt habe?“, frage ich perplex.
Ma lacht. „Oh nein, auf keinen Fall. Darüber reden wir noch.“ Dann nimmt sie meine Hand. „Ich bin stolz, dass du dir nichts gefallen lässt. Dass du so kämpferisch bist und für das einstehst, woran du glaubst.“
Ich rümpfe ein wenig die Nase. Zum einen, weil ich es unglaublich kitschig finde, was Ma gerade sagt. Zum anderen, weil ich mich wie ein Häufchen Elend fühle und nicht wie die Kämpferin, die sie in mir sieht.
„Du bist mir so unglaublich ähnlich“, sagt sie und hat dieses gewisse Lächeln, das immer auch eine Traurigkeit verbirgt, denn sie ist nicht meine leibliche Mutter und auch erst meine Ma, seit ich ungefähr drei war.
„Aber Lu, du musst nicht alle Kämpfe allein austragen, hörst du?“Und damit beugt sie sich zu mir, drückt mich fest an sich und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Hält mich noch einen Moment in ihren Armen, ehe sie von der Couch aufsteht und wieder meine taffe Anwaltsma ist.


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